Wernigerode l Tough und professionell – das ist wohl der erste Eindruck, den Julia Graeber bei ihrem Gegenüber hinterlässt. Tough – genau das muss sie sein, als Vollblutmusikerin und Entertainerin, als Geschäftsfrau, Mutter zweier Kinder und Ehefrau von Wernigerodes Orchesterchef Christian Fitzner.

„Nach Tahiti war ich 36  Stunden unterwegs“, berichtet sie im Volksstimme-Gespräch. „Wenn Du dann ankommst, bist Du richtig fertig. Elf Stunden Zeitverschiebung sind schon extrem.“ Dennoch steht Julia Graeber am Abend lächelnd und perfekt gestylt auf der Bühne. Die Bühne allerdings wankt ein wenig – denn Julia Graeber spielt auf Kreuzfahrtschiffen, und das auf der ganzen Welt.

Von den Osterinseln, Mauritius oder Südafrika: Es sind viele Fähnchen, die die Geigerin auf ihre große, imaginäre Weltkarte pinnen könnte. Gut 100 Tage im Jahr ist sie auf hoher See, spielt regelmäßig für die Reederei „Phoenix“ auf der MS „Amadea“, dem ZDF-Traumschiff, der „Ocean Majesty“ und der „Deutschland“. Mal ist sie fünf Tage auf hoher See, mal drei.

Auch wenn ihr Job für Außenstehende wie bezahlter Traumurlaub anmutet, ist er vor allem eines – harte Arbeit. Die Probenzeiten für die Künstler sind begrenzt. So probt Julia Graeber morgens zwischen 24 und 2 Uhr für die Show, ab 15 Uhr folgt der Durchlauf mit der Band. An Bord ist es extrem eng, überall wird sie von Passagieren erkannt und angesprochen. „Ich habe zum Glück Passagierstatus und wohne in einer Einzelkabine“, sagt sie. Körperlich sei es deutlich fordernder als das Spielen an Land. „Ob bei 50 Grad in den Tropen oder bei Windstärke 9, ich muss gut spielen“, sagt sie. „Auch wenn es extrem schaukelt.“ Das erfordere körperliche Fitness. Ausgerechnet sie werde schnell seekrank. „Aber ich gehe immer mit ausreichend Reisetabletten an Bord“, verrät sie.

„Meine Kinder finden es cool, dass Mama auf dem Schiff arbeitet.“

Im Sommer spielt sie wieder einige Wochen in den norwegischen Fjorden. „Zum 20. Mal geht es dann für mich nach Spitzbergen“, sagt sie und lacht. Etwa drei Shows gibt sie pro Reise. Bei ihrer „Lord of the Dance“-Show wird die Solo-Geigerin von acht Tänzern begleitet. Sie interpretiert Titel aus Oper und Operette, spielt handwerklich extrem anspruchsvolle keltische Musik, aber auch Rock und Pop – mal begleitet von einem Pianisten, mal von einer Band, mal solo ganz ohne Begleitung.

Was sie anders macht als andere Musiker? „Ich erzähle dem Publikum die Geschichte hinter den Stücken“, sagt sie. „Ich kann mit Klassik unterhalten.“ Ihre Familie nimmt sie manchmal mit auf hohe See. „Meine Kinder finden es cool, dass Mama auf dem Schiff arbeitet“, sagt sie. Ihren 13-jährigen Sohn hat sie drei Wochen von Halifax über Boston, New York, die Azoren bis nach Nizza mitgenommen. Neben ihrer Arbeit auf dem Schiff gibt sie in Halberstadt, Braunschweig und Wernigerode privat Violinenstunden für Kinder und Erwachsene in eigenen Räumen. „Ich habe jetzt eine 36-jährige Schülerin, die mit Autoreifen handelt und schon immer Geige lernen wollte“, sagt sie.

Dass sie ständig ihren Arbeitsplatz wechselt, ist für Julia Graeber kein Problem. „Als Tochter eines Chefarztes war ich es gewohnt, dass wir häufig umgezogen sind.“ So wurde sie zwar in Kiel geboren, ging aber in Braunschweig und Düsseldorf zu Schule, verbrachte viele Jahre in Köln, „einer tollen Stadt für Musiker“, wie sie sagt. Erst mit elf Jahren hat sie angefangen Geige zu spielen, vorher Ballett getanzt. „Mit 16 wusste ich, dass ich beruflich Violine spielen will“, erinnert sie sich. Mit 17 Jahren erhält sie einen Studienplatz in Detmold, spielt Tourneen mit dem Orchester der Jeunesse Musicale, absolviert parallel ihr Abitur. Ein straffes Programm.

„Ich will auf jeden Fall noch mal nach Buenos Aires und Australien.“

Mit Mitte 20 bricht sie mit der Geige, legt sie ein Jahr zur Seite, als sie eine Ausbildung zur Europasekretärin absolviert. „Da habe ich gelernt, mich selbst zu vermarkten, das ganze Geschäftliche zu regeln.“ Nach einem Job in einer Agentur in Frankfurt, zieht es sie wieder in die Musikerstadt Köln, die Geige bleibt nicht im Kasten – zu stark ist das Bedürfnis, zu spielen. Sie arbeitet als Referentin in der Verwaltung des Landesmusikrats von Nordrhein-Westfalen, als sie eine Geschäftsreise nach Portugal für mehrere Wochen mit dem Jugendorchester ihres künftigen Mannes zusammen führt: Christian Fitzner.

„Zwei Jahre später haben wir geheiratet“, blickt sie zurück. 1994 geht das Paar nach Wernigerode, wo Fitzner das Kammerorchester übernehmen soll, zunächst nur für ein Jahr. „Es war der 16. Januar 1994, und es waren minus 20 Grad. Wir saßen vor einem Feuer in einer Wohnung in der Grünen Straße. Ich dachte nur: ‚Nein, das meint er nicht ernst‘. Wernigerode war für mich zunächst ein Schock.“

Bis 2002 lebt Julia Graeber weiter in Köln, bis 2010 hat sie eine Wohnung in der Rhein-Metropole. Mittlerweile ist sie im Harz angekommen – auch wenn sie gerne auf gepackten Koffern sitzt. Was noch fehlt auf ihrer Weltkarte? „Ich will auf jeden Fall noch mal nach Buenos Aires, nach Pompeji, Australien, Japan und China.“